Freitag, 24. April 2009

Nachbarn, Nachdenken und schönen Dank für Nix

Neue Wohnung, neue Nachbarn.
Bereits beim Umzug eine Nierenbeckenentzündung eingefangen, die nach dem Geschleppe auskurriert werden wollte. In der selben Woche noch ein Zettel im Briefkasten mit dem Hinweis, dass man sofort die provisorischen Klingelschilder durch "ordnungsgemäß in die dafür vorgesehenen Einrichtungen an Haustür, Wohnungstür und Briefkasten" anzubringen hätte
statt einem "Herzlich Willkommen". Na freilich, ich liege selbstverständlich lieber mit Schüttelfrost flach als Klingelschilder auszutauschen!

Aber der/die Deutsche hält halt gerne Ordnung, vor allem ab einem Lebensalter jenseits der 70, oder wenn Hartz4 am Start ist. Und natürlich wird das Umfeld akribisch beobachtet und sofort ermahnt wenn es aus der Reihe tanzt. Sehr nett, da fühlt man sich wohl, gut aufgehoben und unbeobachtet.
Nach kurzer Eingewöhnungsphase stehen dann die Nachbarn von unten klingelnderweise vor der Tür (aber wenigstens persönlich), es würde dröhnen, man hätte die Lärmquelle bitte abzustellen. Ok, altes Haus, die Böden nicht die besten, Basslastiges überträgt sich. Eingesehen, entschuldigt, Problem aus der Welt geschafft, Nachbarn auf Nachfrage auch zufrieden.
Endlich in ruhe hier wohnen. Denkste.
Nun sind wir natürlich die Bösen im Haus, es scheint sich herumzusprechen. 2 Monate nach Einzug ein neuer Zettel im Briefkasten. Am Computer getippt, nicht mal ein voller Name als Absender. Der Ton mehr als unfreundlich. Wir würden unseren Pflichten, die die Hausordnung vorschreibt
, nicht nachkommen. Dies zeige sich darin, dass wir Türen schlagen, und - vor allem in den Nachtstunden - die Badarmaturen sowie Toilettenspülung zu laut bedienen. Bei unserer Vormieterin hätte es dererlei Probleme NIE gegeben, und unsereins hätte das s o f o r t zu unterlassen.
Kurze Nachforschungen ergeben, dass der Zettel von der Nachbarin verfasst wurde, mit deren Wohnung wir uns die Badezimmerwand teilen.
Da ich leider weder weiß wie man unsere immer offen stehenden Türen zuschlägt und sie dabei gleichzeitig sperrangelweit offen lässt, noch wie man Wasserhahn und Klospülung unterschiedlich laut bedient, wandert der Zettel erst mal zusammengefaltet in der Ecke. Natürlich denkt man weiter darüber nach, und es wurmt. Warum klopft die Nachbarin (es ist eine nicht mehr ganz so jugendlich frische Frau, wie meine Vormieterin mir erzählen kann) nicht einfach, wenn sie was stört? Sind die 2 Meter von Haustür zu Haustür zu viel? Hat sie Angst dass ich sie verprügle? Oder anschreie? Ist direkte Kommunikation aus der Mode? Und da die VHS auch keine Workshops "Leise scheißen für Anfänger" anbietet, beschließe ich den Brief als Witz aufzufassen. Soll die Dame ihre "Macht" als Eigentumswohnungsbesitzerin und Mitglied des Hausbeirates anderweitig ausleben, aber nicht mit mir, und schon gleich nicht mit einem feigen Briefchen in unmöglichem Ton. Laut diversen Gerichtsbeschlüssen dürfte ich sogar jede Nacht eine halbe Stunde duschen. Auch wenn es 3 Uhr morgens ist. Ich erwäge demnächst von meinem Recht gebrauch zu machen. Denn wenn Sie darauf pocht 24/7 mit einem Finger in der Nase und dem anderen im Hintern ihrem Häkeldeckchen in absoluter Ruhe lauschen zu wollen, dann darf ich mich auch waschen.

Jetzt, am Freitag Abend um halb 10 Abends dröhnt seit etwa zwei Stunden Musik hör- und spürbar von über mir durch das Haus. Mir egal, auch wenn die Musik schlecht ist. Ich kann es entweder einfach ignorieren, oder, sollte es schlimmer werden, halt Kopfhörer aufsetzen und was anderes hören. Und wenn ich müde genug bin kann um mich die Welt untergehen, mir auch bums, ich geh dann schlafen.
Ich. Aber nicht die Nachbarn von unten. Es klingelt an meiner Tür. Ich öffne leicht schlaftrunken, davor steht die leicht schielende Frau mit der dicken rechteckigen (topmodischen) Brille. Sie trägt mehrere Lagen Kleidung, die äußerste Schicht eine grobe graue Strickjacke, schwarze Nickitrainingshosen und großmütterlich angehauchte beige Filzpuschen. Sehr sexy. Passt gut zu ihren verwurstelten, schlecht blondierten Haaren und den Lippenstiftresten in ihrem Gesicht. Sie faucht mich an: "Egal was es ist, machen sie es sofort aus!". Ich schaue sie fragend an. Das einzige was lief war mein Hamster im Laufrad, ich lag bis dato mit einem Buch auf dem Sofa. Das erkläre ich ihr und bitte sie auch herein, um sich selbst davon überzeugen zu können. Sie wird noch pampiger. Sie wolle nicht "DA (abwertendes Kopfnicken) rein", sie wolle "ins Bett und in Ruhe schlafen, und das ohne dieses Gewummer", ich solle das abstellen! Tja, blöd nur dass es in meiner Wohnung ruhig ist, man die Musik aber immernoch hört. Ich rate ihr doch mal noch eine Treppe weiter nach oben zu steigen, ich würde auch gerne mitkommen. Sie gibt einen abschätzigen Laut von sich, verdreht die Augen und sagt "noch eins höher? Glauben sie das allen ernstes?"
Ja, tu ich. Und siehe da, als wir oben an der Tür klingeln öffnet eine junge Frau, die sich sichtbar schlagartig bewusst wird warum wir vor ihrer Tür stehen. Sie rennt sofort los und dreht die Musik leiser, während der blondierte Filzball neben mir leise keift. Ich lehne derweil an der Wand im Treppenhaus und beobachte sie dabei. Ab diesem Moment schaut sie mir nicht mehr ins Gesicht. Wir verabschieden uns von der Bewohnerin des obersten Stockwerkes (Nachbarin mit "Das das jetzt aber das letzte mal war!", ich mit einem Grinsen und Zwinkern) und gehen wieder nach unten. Eigentlich könnte sie sich jetzt bei mir entschuldigen, da man mich zu unrecht verdächtig und mich beschimpft hatte, aber nein. Diese Blöße muss man sich ja nicht geben. Ich wünsche der Trulla freundlich und höflich eine gute Nacht, einen ruhigen Schlaf und ein schönes Wochenende, sollte man sich nicht mehr sehen. Sie schaut mich selbst da nicht mehr an, sondern trabt weiter die Treppe nach unten. Ein gemurmeltes, kaum hörbares "Nacht" ringt sie sich noch ab.

Wohnen in diesem Haus wirklich zum Großteil diese Gartenzwergnazis? Muss man ab 18 Uhr auf Toilettengänge verzichten? Was kommt, wenn ich täglich eine halbe Stunde Gitarre üben würde (was der Gesetzgeber im Übrigen erlaubt)? Werde ich gesteinigt wenn ich mein Rad nicht auf den Zentimeter genau in den Fahrradständer stelle? Wie lange dauert es bis zur Anzeige, wenn ich einen Penis auf meinen Briefkasten male? Finde ich genug legale Methoden meine Nebenan-Nachbarin in den Wahnsinn zu treiben? Darf ich im Treppenhaus ohne Voranmeldung niesen? Warum darf der Filzball einen ständig kläffenden Köter haben, ich aber keine 10 Minuten laut Musik hören? Wie fühlt man sich, wenn man immer auf die anderen Hausbewohner aufpassen muss, damit die auch ja alles richtig machen? Sind Häkeldeckchen eine Alternative zum Computer?

Eigentlich wollte ich gerne hier bleiben. Aber wenn diese makrokarierten Schnarchnasen hier aus jeder Mücke einen Elefanten machen, dann kann die Vermieterin noch so nett sein, dann sitze ich die Zeit hier ab bis mein Herzblatt mit dem Studium fertig ist, und dann bin ich weg. Und zum Abschied scheiß ich der Nebenan-Nachbarin ganz leise einen großen Haufen vor die Tür.

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